Samstag, 24. April 2010

Perpetuum mobile

Langsam fuhr sie mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen, die nach Salz und den Überresten der letzten Stunden schmeckten, und richtete sich auf

Sie spürte den leichten Luftzug, der sie erschaudern lies. Jedes einzelne ihrer feinen Härchen stellte sich auf, so als ob Gefahr drohte, bereit zur Abwehr, bereit zum Kampf. Wie kleine Soldaten, die aus dem Schlaf gerüttelt worden waren und nun aufhörten , um den herannahenden fiendlichen Hufschlägen zu lauschen. Bereit zur Abwehr, bereit zum Kampf.

"Gehst du?", seine Stimme hallte durch den Raum, ja dröhnte in ihren Ohren.
"Gehst du schon?". Sie hörte das vertraute Rascheln der eben noch so Geborgenheits spendenden Bettdecke und spürte seinen Blick im Nacken.

Draußen hatte es zu schneien begonnen. Flocke für Flocke flog an ihren Augen vorbei, hinab in die Tiefe, in den schwarzen Abgrund, der vor seinem Fenster lag. Wie kleine Tänzerinnen wirbelten die weißen Kristallbälle durch die Nacht. Ob Schneeflocken sich paaren? Ob sie Leidenschaft spüren? Die selbe Leidenschaft, die sie jetzt gerade, in diesem kalten Augenblick spürte?
Sie wusste noch genau, wie alles begonnen hatte. Würde jemand sie bitten, einen Film daraus zu machen, er würde vor Detailverliebtheit nur so strotzen. Es war als ob sie den Schweiß der ersten Nacht noch auf ihrer Haut hatte. Ihre Haut, die jetzt von Miniatursoldaten übersäät war. Bereit zur Abwehr, bereit zum Kampf. Es war als ob nur noch winzige Salzkristalle als letzte Zeugen dieser ersten Nacht vorhanden waren. Oh, wie hatten sie sich geliebt, im matten Schein der PC-Bildschirmbeleuchtung. Wild und leidenschaftlich. Vergessen war schon längst das kitschige Einerlei, das letztendlich zu einer unwichtigen Einleitung des Lustspiels geworden war.

"Lass uns einen Film schauen, bei mir", hatte er gesagt. "Oder willst du weiterziehn und dich ins Nachtleben stürzen?"
"Lass uns zu dir gehn". Beiden war damals schon der Alkohol zu Kopfe gestiegen und hatte ihnen die Sinne vernebelt. Beide waren erheitert gewesen, mutiger denn je. Wie stark und unbesiegbar sie sich gefühlt hatte. Zum Schreien war ihr gewesen, die Welt hätte sie umarmen können. Ihr Körper war damals so wohlig warm gewesen, ihre Wangen hatten geglüht und die Zunge war ihr schon leicht geworden.
"Lass uns zu dir gehn."

Er hatte sie in die Wohnung getragen, die schon damals nach kaltem Zigarettenrauch, studentischen Trinkgelagen und altem Fett gerochen hatte. Doch damals, in diesem Moment, hatte sie es nicht wahr genommen. Alles was zählte waren sie beide, jetzt, hier, zu zweit. Beide willig, beide frei. Was hatte auch dagegen gesprochen? Er hatte sie auf sein Bett gelegt, mehr geworfen als sanft abgesetzt. Hatte sie ausgezogen, man hätte es die Kleider vom Leib reißen nennen können. Sie hatte sich hingegeben und stumm eingewilligt in das Lustspiel, das damals begann.

"Das war nichts weiter als ein bischen Spaß". Sie hätte ihn am liebsten erschlagen, in dem Moment als ihr Herz in die Hose rutschte. Sie hatte geschluckt und ihn angesehen.
"Du hast es doch auch genossen, oder?" Sie hatte sich umgedreht und schon damals war ihr das Rascheln der Bettdecke bedrohlich vorgekommen.

Eine Warnung. Sie hätte es ahnen müssen.
"Gehst du?" Wie oft hatte sie diesen Satz schon gehört, hatte leise ihre Sachen gepackt. Jedes mal hatte sie sich im matten Lichtschein wieder angezogen, ihren so plötzlich ausgekühlten Körper in Watte gehüllt. Der Körper, der gerade noch nur so vor Leidenschaft geächzt hatte, übersäät gewesen war mit glitzernden Perlen aus Schweiß.

"Gehst du schon?" Abermals spürte sie den Luftzug und abermals machten sich die Miniatursoldaten bereit zum Kampf. In gewohnter Manier stand sie auf und begann ihre im Zimmer verstreuten Kleidungsstücke zusammen zu suchen. Ihre schwarze Spitzenunterhose, die sie extra für ihn gekauft hatte. Der passende BH, den sie eigentlich scheußlich unbequem fand.
"Komm doch nochmal ins Bet.t" Ihre Socken, die im Eifer des Gefechts zu kleinen Kneulen geworden waren. Das T-Shirt, das nun nach ihm roch.
"Musst du denn schon wieder gehn?" Ihre Jeans, der Mantel. Sie wickelte den Schal fest um ihren Hals; ein zusätzlicher Panzer.

"Ich gehe." Sie hob ihre Tasche vom Boden auf und hieng sie sich über die Schulter. Diesmal geht sie. Nicht nur nach Hause, um auf das nächste Mal zu warten. Diesmla ginge sie für immer, so hoffte sie. Sie wusste, dass sie es eigentlich nicht mehr ertragen konnte, dass sie eigentlich mehr wollte als nur Spaß. Und sie wusste auch, dass er ihr das nie geben könnte.
"Ich gehe. Bis bald." Als dieser Satz über ihre Lippen kam und sie die wenigen Worte in die Freiheit entlies, fühlte sie sich gut, mutig und stark. "Bis bald", dachte sie und hoffte, dass es eine Lüge war, denn in dem Moment war sie sich sicher. Sie ging, verlies den Raum. Raus aus dem Zimmer, aus der Wohnung, die jetzt nach kaltem Zigarettenrauch stank und nach altem Fett. "Ich gehe", dachte sie und war sich sicher.
Dass es nur für wenige Tage sein sollte, hatte sie damals verdrängt. Denn damals hatte sie sich unbesiegbar gefühlt und gehofft. "Ich gehe" war nur eine schöne Geschichte, die von der Wahrheit runiert werden sollte.


Anmerkung der Autorin: Für Grammatik und Rechtschreibung wird keine Haftung übernommen.

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